Vorurteile, Menschlichkeit und alles Dazwischen

Nicht belehrend, sondern leise und einfühlsam. Über Menschen ist ein Buch, das mich daran erinnert hat, wie schnell wir urteilen, ohne wirklich hinzusehen – und wie sehr wir die Welt oft nur durch unsere eigene Brille betrachten. Eine Geschichte, die viel darüber erzählt, wie wir einander begegnen – oder eben nicht.

Worum geht es

Dora braucht dringend eine Pause von ihrem Leben: Der Lockdown, ihr hyperkorrekter Freund Robert mit seinem Klimaaktivismus und ein Job, der sie zunehmend  überfordert, sind Gründe genug Berlin hinter sich zu lassen. Kurzentschlossen, ohne Plan dafür mit viel Zuversicht, zieht sie mit ihrer Hündin aufs Land – in ein altes Haus im brandenburgischen Dorf Bracken. Doch aller Anfang ist schwer, auch hier ist das Leben nicht so idyllisch wie erhofft. Es fehlen Möbel in Doras Haus, der Garten ist arg vernachlässigt und beim Nachbarn hinter der Gartenmauer passieren merkwürdige Dinge, die sie nicht sofort einordnen kann. Eines Tages begegnet Dora dann ihrem Nachbarn: Ein Mann mit kahlrasiertem Schädel, der sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint und sich selbst als «Dorf-Nazi» bezeichnet.

Das war Geflohen vor dem stressigen Alltag in der Grossstadt,  Doch entgegen aller Erwartungen zeigt er sich hilfsbereit, ja sogar fürsorglich. Diese Begegnung bringt Dora aus dem Gleichgewicht und lässt ihr sorgfältig zurechtgelegtes Weltbild ins Wanken geraten. Sie kommt nicht darum herum, ihre eigenen moralischen Überzeugungen und Urteile zu hinterfragen.

Persönliche Gedanken

Juli Zeh zeigt auf eindrückliche Weise, dass wir anderen Menschen nicht wirklich begegnen, wenn wir sie vorschnell moralisch verurteilen oder allein auf ihre politischen Haltungen reduzieren. Denn hinter jeder Meinung steht ein Mensch mit eigener Geschichte.

Über Menschen fordert dazu auf, die eigenen Vorurteile zu reflektieren und bewusst wahrzunehmen, wie schnell wir andere in Schubladen stecken. Gerade in einer zunehmend polarisierenden Gesellschaft ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben, echten Austausch zuzulassen – auch wenn das unbequem ist und bedeutet, das eigene Ego ein Stück weit zurückzunehmen.

Für mich liegt die Stärke dieses Romans darin, dass er nicht belehrt, sondern verstehen will. Und damit schafft Juli Zeh etwas, das in unserer Zeit so dringend gebraucht wird: Empathie und die Bereitschaft, unterschiedliche Perspektiven zuzulassen. Menschlichkeit beginnt dort, wo wir aufhören, einander zu bewerten und beginnen, uns wirklich zu begegnen.
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